Übersehen wir Übersee?
Doch während wir hierzulande das Für und Wider abwägen, entstehen andernorts schon ganz andere Formen der Autonomiebeschneidung. Übersehen wir nicht, wie sich in China ein uns gänzlich fremdes System etabliert. Anstatt dem Bürger die Souveränität zu lassen, selber zu entscheiden was er moralisch gut oder für die Sozialgemeinschaft verwerflich findet, wie zum Beispiel das rechtzeitige Zahlen von Rechnungen, das richtige Trennen beim Recycling oder den Konsum von Pornographie, übernimmt ein «Sozialkreditsystem» den Einwohnerinnen und Einwohnern die Entscheidung. Unzählige Überwachungskameras mit Gesichtserkennung registrieren schon heute «Rotquerer» am Zebrastreifen und wirken auf den persönlichen «Sozialkredit». Ein entsprechender «Kreditstatus» beeinflusst dann persönlich ob Flugreisen oder Hochgeschwindigkeitszug-Tickets zu kaufen möglich ist.
Vorteilhaft lässt sich so lenken, was bei uns nur durch Anreize oder Grenzwerte angestrebt werden kann. Dieses Systemverständnis, welches «von innen» die Leute selber kontrolliert, könnte der Selbstbestimmung mittelfristig eine neue Gestalt geben und damit für die liberalen Rechtsstaaten des Westens zu einer noch ungeahnten Herausforderung werden.
Heimliche Einreise
Das Wissen, dass diese, unserem Freiheitsverständnis diametral entgegengesetzte Bewegung weit weg von uns stattfindet, sollte unser Gemüt nicht beruhigen. Beliebte chinesische Anwendungen finden privat und institutionell schnell Einzug in unser Leben. Sei es der Onlinehändler «Alibaba», die bei Teens beliebte Video App «Tictoc» oder auch mögliche Forderungen des chinesischen Staates, dass Marktzugang nur noch bei entsprechendem Forschungsvolumen, das in ihrem Reich getätigt wird, gewährt wird. Schon heute fungiert China als Technologie- und Ideologie-Exporteur, gerade auch für Schwellen-und Drittweltländer. Dort wird sich als erstes zeigen, ob sich das westliche System noch behaupten kann.
Eine europaweite Vision
Wenn unser reformatorisch geprägtes System der Rechenschaft für alle, der klaren Gewaltenteilung und der Menschenwürde weiterhin Strahlkraft haben will, brauchen wir kompetente Fachleute, Multiplikatoren, zahlreiche Interessenvertretungen und ein dichtes Netz von Menschen, die sich diesen Werten verpflichten, den sozialen Frieden fördern und damit eine gemeinsame europaweite Vision entwickeln.
Daniel Zinsstag, Unterstammheim
EVP Bezirk Andelfingen